Snowpiercer Hauptplakat

Snowpiercer (Sneak vom 28.03.2014 im Cineplex)

Plakat

Originaltitel: Snowpiercer

Laufzeit: 126 Minuten

FSK: ab 16 Jahren

Besetzung: Chris Evans, Song Kang-ho, Tilda Swinton, Jamie Bell, Octavia Spencer, John Hurt, Ed Harris

Regie: Bong Joon-ho

Seit dem 03. April in den Lichtspielhäusern.

 

Wir sind in einer jener nahen Zukünfte. 17 Jahre nach einem deutlich zu erfolgreichen Experiment zur Beendigung der Erderwärmung (das perfekt die Ängste von  Anhängern der Chemtrails-Verschwörungstheorie anspricht) ist alles, was von der Menschheit noch übrig ist, auf einer ewigen Reise rund um die zu Eis erstarrten Welt. Man nutzt dabei den „Snowpiercer“, einen wahnsinnig langen Zug, der komplett unabhängig von der Außenwelt alles produzieren kann, was man zum Überleben braucht. Doch während die vorderen Abteile im Luxus schwelgen, vegetieren die Bewohner am hinteren Ende unterdrückt und rechtefrei vor sich hin.

Doch das soll sich ändern, findet eine kleine Gruppe um den Revolutionär Curtis (Chris Evans) und probt den Aufstand. Sie wollen ganz nach vorn, bis zur Lok – und wehe dem, der sich ihnen in den Weg stellen will.

Szenenbild 1

Dies kurz vorab, für die Comicfans unter uns: Theoretisch ist „Snowpiercer“ die Verfilmung eines tatsächlich richtig guten französischen Comics aus dem Jahre 1983, der hierzulande unter dem schönen Titel „Schneekreuzer“ erschien. Praktisch gesehen allerdings könnte die gesamte Idee des Films eigentlich auch komplett dem Klappentext des Comics entnommen sein. Gut, und die Aufbewahrung der Gefangen ist noch gleich, aber dafür musste man das Buch nur kurz an der richtigen Seite aufschlagen. Trotzdem sind Verfilmung und Vorlage (vor allem auch in qualitativer Hinsicht) dermaßen unterschiedlich, dass der Verfasser dieser Kritik einen Vergleich für mehr als nur müßig findet, den Anlass aber sehr gern genutzt hat, um dieser wundervoll verbitterten kleinen Perle unter den dystopischen Bildgeschichten eine Erwähnung zu gönnen.

Der Film selbst ist da leider weitaus weniger erwähnenswert. Das beginnt bei der vollkommen platt wirkenden Grundprämisse: Wir sind in einem Zug, also konstruieren wir doch gleich mal ein überdeutlich erkennbares Klassensystem. Wow. Auf so einen Gedanken muss man erstmal kommen. Natürlich sind die Drittklässler die armen Unterdrückten, natürlich herrscht vorne die reine Dekadenz. Bla, bla. Das wäre wohl alles nicht so schlimm, wäre der Zug als Lebensraum tiefgründiger und greifbarer inszeniert, aber im Grunde ist er genauso oberflächlich dargestellt. Nie bekommt man z.B. auch nur ein Gefühl für die schiere Länge des Wegs vom Ende bis zur Lok, obwohl dieser Umstand wenigstens mehrfach erwähnt wird. Außerdem fehlen viel zu häufig die Schnörkel, die nebensächlichen Kleinigkeiten, die eine fiktive Welt mit Leben füllen und ihr die Glaubwürdigkeit verleihen. Da wundert es auch nicht, dass einem stattdessen die vielen kleinen Logiklöcher auffallen, durch die sich die Handlung winden muss.

Ebenfalls unschön: Fast alles scheint nur der Handlungsrelevanz halber eingebaut zu sein, wobei „handlungsrelevant“ hier in der Regel bedeutet, dass es sich um eine weitere platte Idee handelt, mit der die herrschende Klasse als nur noch böser und gemeiner dargestellt werden soll. Oder man opfert die Logik für ein paar kleine Spannungsmomente, wenn man beispielsweise den ja schon seit fast zwei Jahrzehnten sicher durch die Ödnis fahrenden Zug schon bei den kleinsten Bodendellen dramatisch an den Rand einer Entgleisung führt. Solch eine Holzhammer-Dramaturgie ist selbst für Hollywoodverhältnisse rückschrittlich, und dieser Film ist gar nicht aus Hollywood.

Szenenbild 2

Auch die Darsteller können nicht wirklich glänzen. Zwar mag „Captain America“-Star Chris Evans mal ungewohnt ungekämmt auftreten, doch sein Charakter bleibt nichtsdestotrotz eher blass, mit vielleicht ein bis zwei Ausnahmen gegen Ende hin. Eine echte Katastrophe hingegen ist Tilda Swinton, die ihre Figur vollkommen desinteressiert abzuspulen scheint. Vermutlich liegt es an der miesen Charakterzeichnung, die man, sofern man in wohlmeinenderer Stimmung als der Autor dieser Kritik ist, wohl noch als „der Komik zuliebe deutlich überzeichnet“ und damit als „hochgradig Geschmackssache“ umschreiben könnte. Am Ende schließlich gesellt sich darstellerisch zur Katastrophe dann noch eine riesige Enttäuschung, denn natürlich begegnet unser Held auch dem Lokführer, der von Ed Harris jedoch vollkommen charismafrei dargestellt wird. Und es wirkt leider nicht so, als wäre dies beabsichtigt. Warum, oh warum nur konnte man für diese Stelle nicht einfach Sam Elliot besetzen? Aber immerhin, wenigstens der koreanische Darsteller Song Kang-ho vermag als drogenabhängiger Technik-Crack fast die ganze Zeit über zu überzeugen. Man fragt sich da ja schon, ob Bong Joon-ho nicht eventuell schlicht mit einer kleinen Sprachbarriere zu kämpfen hatte.

Doch auch jenseits seiner Englischkenntnisse hätte der Regisseur noch Lernbedarf. Denn obgleich er sichtbar viele gute Ideen in den Film einzubauen versuchte, scheiterte er doch oftmals an einer viel zu altbackenen Inszenierung. Ein Beispiel: In einer toll eingeleiteten Szene treffen die Revolutionäre auf eine Armee von Schlägern. Großartig daran ist, wie voll der Waggon an dieser Stelle wirkt. Keine Quadratzentimeter scheint mehr frei. Doch im folgenden Kampf ist dann plötzlich wieder ausreichend Platz für die üblichen, wenn auch durchaus ungewohnt brutalen Zweikämpfe. Schade, denn so ist die Grundidee der Enge bei einem solchen Kampf natürlich gleich wieder sinnlos verpufft. Auch ansonsten glänzt die Inszenierung nicht unbedingt durch Genialität, sondern schlängelt sich eher knapp über dem Durchschnitt entlang: Auch wenn man klar erkennbar versucht, optisch ein paar Punkte zu machen, ist der Gesamteindruck doch stellenweise sehr nah am Standard von Direct-to-DVD-Veröffentlichungen. Und damit sind noch nicht einmal die miesen Effekte, vor allem in den Außenaufnahmen, gemeint. Denn die sind wenigsten mit dem Produktionsbudget zu erklären.

Und am Ende des Films gesellt sich dann auch noch Unsicherheit zu den Schwächen der Inszenierung: Kurz nachdem die Handlung um Curtis zu einem nicht überraschenden, aber durchaus passenden Ende geführt wurde, musste man unbedingt noch Einen drauflegen und einen weiteren Abschluss aufpfropfen. Das wirkt leider vollkommen unschlüssig, so als war man sich nicht klar, welchen Punkt man am Ende denn nun unbedingt machen wolle. Was letztlich dazu geführt hat, dass die Geschichte um Curtis quasi egal geworden ist. Ziemlich blöd, da diese ja den Rest der Handlung bestimmt hat.

Szenenbild 3

Doch trotz aller Schwächen und Mängel, die „Snowpiercer“ zweifelsohne aufweist, möchte sich der Verfasser dieser Zeilen zum Abschluss gern versöhnlich zeigen. Denn es ist durchaus lobenswert und fast schon mutig, eine Dystopie zu erzählen, deren Vorlage jenseits des Jugendroman-Regals zu finden ist. Und auch wenn die Umsetzung in vielen Punkten eher durchschnittlich ausfällt, hat sie doch noch gerade genug interessante Momente, um wenigstens ein wenig aus dem allgemeinen Einheitsbrei heraus zu lugen. Und hin und wieder blitzt sogar die Schärfe der Vorlage hervor. Und dann macht der Film kurz richtig Freude.

Fazit:
Zwar ist „Snowpiercer“ bei weitem kein guter Film und droht durch seine stark an Hollywood erinnernde Dramaturgie mehrfach, endgültig in der Belanglosigkeit zu versinken, aber ein paar gute Einfälle und die starke Vorlage retten ihn dann doch vor dem Kältetod durch öde Inszenierung. 6/10 Punkte begleiten somit den Zug auf seiner Reise durch das unendliche Weiß eines ewigen Winters.
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Über den Author:

MartinLiebt das Kino als natürlichen Lebensraum großartiger Filme, wobei „großartig“ für ihn all das ist, was das Hirn zermartert oder das Herz zerreißt – jeweils im Guten wie im Schlechten und gern auch beides auf einmal. Schwärmt derzeit am liebsten über „Irresistible – Unwiderstehlich“, „The Hunt“ und „Violet Evergarden und das Band der Freundschaft“ – außerdem immer wieder gern über „Weitermachen Sanssouci“ und „One Cut of the Dead“.Zeige alle Artikel von Martin →