Feuchtgebiete

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Originaltitel: Feuchtgebiete

Laufzeit: 109 Minuten

FSK: freigegeben ab 16 Jahren

Hauptbesetzung: Carla Juri, Christoph Letkowski, Meret Becker, Axel Milberg, Marlen Kruse

Regie: David Wnendt

Ab dem 22. August 2013 in den deutschen Kinos.

 

Helen Memel (Carla Juri) liebt dreckige Toiletten, masturbiert mit verschiedenem Gemüse und kultiviert ihren natürlichen Intimgeruch. Für ihre hygieneverliebte Mutter (Meret Becker) ein Graus. Überhaupt ist das Verhältnis zu der Alleinerziehenden recht angespannt. Ganz anders als bei Helens Vater (Axel Milberg), der mitten in der Midlife-Crisis steckt. Als Helen dann wegen einer missglückten Intimrasur ins Krankenhaus kommt, sieht sie ihre Chance kommen: Ihre geschiedenen Eltern sollen am Krankenbett der rebellischen Tochter wiedervereint werden. Bis dahin heißt es, so lang wie möglich krank bleiben. Und während sie das Krankenhaus terrorisiert, begeistert sie nebenbei noch Krankenpfleger Robin (Christoph Letkowski) mit ihrer unverblümt offenen Art.

Szenenbild 1

Wer das Buch kennt, weiß, was ihm bevorsteht. Bereits in den ersten zehn Minuten fliegt dem Publikum der Film nur so um die Ohren und strapaziert dabei die Lachmuskeln. Nach einem sympathischen, direkten Einstieg samt Wörtern wie „Poloch“, „Hämorriden“ und „Rosette“ folgt eine Toilettenszene, die es in sich hat. Da watet Helen barfuß durch ein halbüberflutete, unbeschreiblich versiffte Toilette und macht sich über die Ansammlungen auf der Klobrille her. Nichts für schwache Nerven. Wen das noch nicht angehoben hat, wird spätestens beim folgenden Vorspann in ekelverzerrtes Lachen ausbrechen, als die Kamera in eine rasante Zoom-In-Fahrt auf einen undefinierbaren, gelben und mit einem Haar versehenen Fleck in die Tiefen der mikrobiologischen Sphäre hinabstürzt. Mhh, lecker! Wer nicht lacht, muss wohl brechen – reine Schutzmaßnahme.

Szenenbild 2

Doch bei alledem beweist Nachwuchsregisseur David Wnendt, wie auch schon in seinem letzten Film „Kriegern“, sein filmisches Können. Mit einem mitreißenden Einstieg und einem guten Gespür für Kameraeinstellungen gewinnt er – trotz Ekelszenen – Sympathiepunkte. Mit einer gezielten Kombination aus Slow-Motion-Effekt und klassischer Musik schaffte es Wnendt, sogar einer Gruppenmasturbation eine gewisse Würde zu verleihen. Mit einer nicht zu verachtenden Liebe zum Detail und unerschrockenen Nahaufnahmen übersetzt er die tabulose Vorlage in Bilder, die dem Buch alle Ehre machen.

Und darüber hinaus füllt Wnendt die Lücken von Roches Buch auf und bessert Schwachstellen bei der Figuren-Psychologisierung aus. Im Buch wirkt Helens ungewöhnliches Verhalten wie eine notwendige Folge eines Scheidungstraumas und einer gestörten Mutter. Wendt hingegen nutzt diesen Lebenslauf, um den Charakter abzurunden – nicht um ihn zu pathologisieren. Er schafft eine ungewöhnliche Figur, ohne ihr den erwarteten Abnormal-Stempel aufzudrücken. So entspringt dem Film eine selbstbewusste Helen, die experimentierfreudig ist, einen unkonventionellen Umgang mit Körperflüssigkeiten pflegt – und eben auch eine traurige Familiengeschichte hat. Ja, sie ist anders – aber nicht unnormal.

Szenenbild 3

Sicherlich hat sich die Mehrheit der deutschen Schauspiel-Riege zurückgehalten, als es um die Besetzung der Hauptfigur ging. Kein Wunder also, dass die Rolle an ein noch recht unbeschriebenes Blatt ging: Die noch recht unbekannte Schweizerin Carla Juri säuselt sich mit leichtem Akzent durch die Dialoge. Ein Singsang, der zunächst verwirrt, sich später allerdings perfekt in die Figur einpasst – zeugt Juris Sprechhaltung steht’s von Souveränität und provokativer Coolness. Sie gibt eine toughe Helen, die durch einen leichten Schein von Unschuld nicht schlüpfrig wirkt.

Doch auch die anderen Darsteller können sich sehen lassen. Axel Milberg erntet als gedankenlose Vaterfigur viele Lacher. Meret Becker nimmt man die tickgestörte und neidgeplagte Kontrollmutter vollends ab. Und auch Christoph Letkowski weiß den superschnuckeligen Krankenpfleger Robin gegenüber Helens entwaffnendem Charme nicht völlig in der Hilflosigkeit versinken zu lassen. Nicht zu vergessen: Edgar Selge gibt als Dr. Notz samt gesichtslosem Ja-Sager-Schwarm in weißen Kitteln ein Paradebeispiel eines unsensiblen Proktologen. Vor allem aber Marlen Kruse, die Helens unsichere Freundin Corinna spielt, beeindruckt mit einer ungespielten Natürlichkeit – und mit einem beachtlichen Schauspiel bei der alten-Freibad-Szene.

Fazit:

David Wnendt hat eine Buchverfilmung geschaffen, die überraschenderweise mal besser ist als ihre Literaturvorlage. Ein toller Unterhaltungsfilm mit Witz, passender Filmmusik und guten Bildern, der in ungewohnte Tiefen des menschlichen Körpers vordringt, die wohl nicht jeder sehen will. Neugierig sind sie aber alle: 8/10 Punkten.

 

 

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Sophiawenn sich die gebürtige und nach wie vor Heimatstadt verliebte Leipzigerin nicht gerade als freie Journalistin, Lektorin und Sprecherin durch den Medien-Dschungel schlägt, ist ihre Stimme vor allem in Kulturradios zu hören – dabei kann sie allerdings nie die Finger von Filmen lassen.Zeige alle Artikel von Sophia →